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Deutschland liegt mir am Herzen

Gespräch mit einer Russlanddeutschen

Pauline FotoPolina Popp aus Omsk in Sibirien möchte ab Herbst 2018 in Berlin Modedesign studieren. Die 19-Jährige hat zu Deutschland eine ganz besondere Beziehung: Polina ist Russlanddeutsche. Ihr Großvater wurde in der deutschen Stadt Balzer an der Wolga geboren. Im Interview spricht sie über ihre Familiengeschichte.

Woher kommen deine Vorfahren?

Meine Urgroßeltern väterlicherseits haben Deutschland verlassen und sind an die Wolga gezogen, in die deutsche Stadt Balzer. Dort kam mein Opa 1938 zur Welt. Drei Jahre später wurden die Russlanddeutschen nach Sibirien vertrieben. Die Familie meines Opas kam nach Iskitim, 65 Kilometer südlich der Stadt Nowosibirsk. Dort hat mein Opa meine Oma, eine Russin, kennengelernt.

Wie war das Leben in Iskitim?

Mein Opa hat erzählt, dass es eine sehr schwierige Zeit war. Wer Glück hatte, fand Menschen, die einen aufnahmen, die ein bisschen Geld oder etwas zu essen gaben. Viele starben aber an Hunger. Die Familie meines Opas überlebte, weil er und seine zwei Brüder gute Handwerker waren. Sie stellten Walenki her, die russischen Winterstiefel aus Filz. Mein Opa war der kleinste und schnellste, deshalb hat er die Walenki auf dem Markt verkauft. Meine Urgroßmutter hat in einer Mühle gearbeitet. Sie nahm manchmal Mehl mit nach Hause, sodass die Familie etwas zu essen hatte. Während des Zweiten Weltkriegs war es gefährlich, in Russland Deutsch zu sprechen. Deshalb wuchs mein Opa in einem russischsprachigen Umfeld auf. Er besuchte eine russische Schule und auch zu Hause wurde Russisch gesprochen. Deutsch musste er später erst lernen.

Wie lange haben deine Großeltern in Iskitim gelebt?

Sie sind alle zehn, fünfzehn Jahre umgezogen. Sie lebten dort, wo sie Arbeit fanden. Mein Opa hat als Elektriker gearbeitet, meine Oma auf Bauernhöfen. Sie lebten im Altai und in der Ukraine. Dort fanden sie aber keinen Anschluss, deshalb gingen sie nach Russland zurück. 1994 wanderten sie nach Deutschland aus. Meine Großeltern waren damals 50 Jahre alt.

Wohin genau gingen sie?

In Deutschland wurden sie erst mal in einem Aufnahmelager untergebracht. Die meisten Russlanddeutschen wurden nach Norddeutschland geschickt. Meine Großeltern wollten in Süddeutschland bleiben. Mein Opa hat extra nachts Deutsch gelernt, um als Dolmetscher arbeiten zu können. Sie haben ihm dann tatsächlich angeboten, zu bleiben. Heute leben meine Großeltern in der Nähe von München. Mein Opa fühlt sich in Deutschland zuhause und auch meine Oma hat sich daran gewöhnt. Im Alltag sprechen sie eine Mischung aus Russisch und Deutsch.

Und deine Eltern wollten nie nach Deutschland?

Meine Verwandten väterlicherseits wohnen fast alle in Deutschland, aber mein Vater weigert sich. Er bleibt in Russland. Meine Eltern verstehen Deutsch, aber sie sprechen es nicht. Mein Vater ist in Russland aufgewachsen. Ich hingegen habe meine Ferien immer in Deutschland verbracht und mit den deutschen Kindern in der Nachbarschaft meiner Großeltern gespielt. Dabei gab es immer einen klaren Sieger. In Russland war „Freundschaft gewinnt!“ das Motto. Das habe ich nie so ganz verstanden. Deutschland liegt mir einfach mehr am Herzen als Russland. Bei meinem Vater ist es umgekehrt.

Seit wann lernst du Deutsch?

Wir haben schon im Kindergarten Deutsch gelernt und die deutschen Feiertage gefeiert. In Omsk habe ich die deutsche Schule „Wiedergeburt“ besucht. Mit den Nachbarkindern von damals bin ich noch heute befreundet. Wenn wir uns in Deutschland treffen, erinnern wir uns an unsere Kindheit. Zum Beispiel kannte ich als Kind das deutsche Wort „Waffenstillstand“ nicht. Ich habe „Waffelstillstand“ gesagt, bis mir erklärt wurde, dass es dabei nicht darum geht, dass keine Waffeln mehr gebacken werden. Solche Fehler habe ich oft im Deutschen gemacht.

Was bedeutet es für dich, Russlanddeutsche zu sein?

Früher wünschte ich mir, nur Russin oder nur Deutsche zu sein. Ich habe mich entwurzelt gefühlt und nicht gewusst, wohin ich gehöre. In Deutschland habe ich Russland vermisst und umgekehrt. Jetzt sehe ich die Vorteile, die es mit sich bringt, wenn man etwas von beiden Nationen hat. Ich bin stolz darauf, Russlanddeutsche zu sein. Mein Opa ist für mich ein großes Vorbild. Er arbeitet noch heute jeden Tag im Holzgeschäft meines Onkels. Sie bauen unter anderem Terrassendielen aus sibirischen Lärchen. Mein Opa ist sehr fleißig und optimistisch. Er beschwert sich nie. Das finde ich bewundernswert.

Das Interview führte Magdalena Sturm.
Foto: privat (Polina Popp)

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